Lotte Reimers in ihrem Atelier, 1990

Lotte Reimers in ihrem Atelier, 1990

Rezept- und Skizzenbuch von Lotte Reimers

Doppelseite aus einem der Rezept- und Skizzenbücher von Lotte Reimers

In meinen Träumen sehe ich oft Berge von frischem Ton, sehe, wie ich daraus ganze Reihen immer größerer Gefäß-Körper baue und wie ich große Räume mit dieser stetig wachsenden Schar bevölkere und die weißgekalkten Wände mit immer größeren fotografischen Bildern behänge...
Vielleicht träume ich deshalb so groß, weil meine Werkstatt so klein ist.
Als ich mit der Keramik begann, noch keinen eigenen Ofen hatte, machte ich Schalen, groß wie ein alter Mühlstein, die dann in einem Industrie-Ringofen mitgebrannt wurden. Mein erster Brennofen dagegen war nur 35 cm im Geviert und meine Glasurbehälter sind bis zum heutigen Tag leere Honiggläser.

Seit 1965 mache ich Keramik. Ausführliche Beschreibungen darüber gibt es in bebilderten Katalogen und zahlreichen Veröffentlichungen in Presse, Funk und Fernsehen.

Meine Arbeiten entstehen ohne Töpferscheibe, frei aufgebaut aus grobkörnigem Schamotteton. Rissig-rauhe Kanten, Quetsch-Rillen, Kerbspuren und Reliefstrukturen sind typische Merkmale, ebenso Dickwandigkeit und Schwere, oft in Kontrast zu zarten Hälsen und schwingenden Formlinien.

Die Glasuren sind – was vor Jahrzehnten noch ein bestauntes Novum war – wie vor Jahrtausenden aus Steinen, Holzaschen und farbigen Erden entwickelt, durch Schütten, Tauchen, Schleudern oder mit dem Pinsel in mehreren Schichten aufgetragen und oft gegen freigelassene Flächen gesetzt. Im keramischen Objekt Gegensätze zu bündeln – Ruhe und Bewegung, Aufbruch und ebene Fläche, Schürfkanten und Glätte, Reihung und Kontrapunkt, Farbigkeit und tiefes Schwarz, Fließspuren und Pinselakzente bei der Formgebung und beim Glasieren – und auf diese Weise Keramiken zu erzeugen, die Ruhe ausstrahlen und gleichzeitig gezähmte Urkräfte ahnen lassen, das ist für mich immer wieder Zwang und Verlockung zugleich.

Jahrelang stand für mich fest, dass ich Malerin werden wollte. Doch dann – im Herbst 1951 – sah ich J.W.Hinders Wanderausstellung "Moderne Keramik", nahm meine Anmeldung an der Landeskunstschule Hamburg zurück und zog nach dem Abitur zehn Jahre lang mit Hinder durch Deutschlands Städte, lernte sticken, weben und fotografieren. Aus dem Fotografieren von Keramiken für Vorträge und Veröffentlichungen wurden später meine zweckfreien Fotografien, meine "ungemalten" Bilder.

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